Vor einigen Tagen rief mich ein Marketingleiter an und erkundigte sich, was es kosten würde, wenn ich ihn bei der Suche nach einer Agentur unterstützen würde. Es handelte sich dabei um den Leiter der hauseigenen Agentur eines sehr bedeutenden Mittelständlers. Dieser plane nun eine Produkteinführung in einem für ihn neuen Geschäftsbereich und es stünde die Frage im Raum, ob diese Aufgabe nicht komplett nach außen delegiert werden sollte. Der genaue Bedarf an Agenturleistungen und das genaue Anforderungsprofil waren noch unklar. Ich unterbreitete ihm ein Angebot, ihn in der Bedarfsanalyse zu unterstützen, um dadurch die Grundlage für ein gezieltes Screening zu schaffen. Er zeigte grundsätzliches Verständnis dafür, hielt es in diesem Moment aber für verfrüht. Was er sich vorstellte war eine Kostenschätzung „quick & dirty“, um mit dieser eine grundsätzliche Entscheidung seiner Geschäftsleitung herbeizuführen.
Solche Anfragen gibt es immer wieder. Da sollen Budgets kalkuliert werden, ohne das der Aufwand definiert ist. Diese werden dann von Menschen begutachtet, die sich in der Materie nicht auskennen und den dahinter verborgenen Aufwand nicht kennen. Zum Glück ist das nicht die Regel, denn ich kenne auch Marketingentscheider, die diesbezüglich höchstprofessionell vorgehen. Die Frage ist doch aber: wie ist es möglich, dass es bei den Marketern eine derartige Bandbreit an Qualifikationen gibt?
Ich persönlich habe für mich eine Erklärung gefunden: Wenn ich mir die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ansehe, dann sind die Anbieter von Agenturleistungen stets dadurch aufgefallen, dass sie ihre Tätigkeiten in einer Form von „vorauseilendem Gehorsam“ ausübten. Egal wie dünn das Briefing, wie knapp das Budget und der Fertigstellungstermin waren, selbstverständlich hat man sich der Aufgabe gestellt und sie zur Zufriedenheit des Kunden erledigt. „Wie sind hochmotiviert und flexibel“, liest man auch heute noch auf diversen Homepages von Agenturen. Hatte der „Werbeleiter“ der 80er meist noch eine Ahnung davon, welche Arbeitsschritte – zumindest produktionstechnisch – damit verbunden waren, ist das bei den heutigen Mitarbeitern der Marketingabteilungen meist nicht mehr der Fall. Denn, wenn diese nicht selbst über Agenturerfahrungen verfügen, wie und wo sollen sie dieses Know how erworben haben? Immer noch versäumen es die Agenturen, ihre Kunde über ihre wirklichen Leistungen zu informieren. Die Folgen: Schlechte Briefings, zu knappe Termine, ewige Preisdiskussionen.
Ein Vergleich mit der Beraterzunft, wäre da hilfreich. Kein Berater würde bei einem Kunden mit dem Anspruch erscheinen, die Lösung des Problems bereits zu kennen. Er beginnt seine Arbeit mit der sorgfältigen Analyse und lässt sich diese bereits gut honorieren. Ist man sich nicht sicher, dass die entwickelte Maßnahme das gewünschte Ergebnis erzielt, bietet der Berater gerne eine vorgeschaltete Machbarkeitsstudie an. Gegen Honorar versteht sich. Wird auch diese Hürde überwunden, hat der Kunde den Einstieg in das Projekt genommen und es entsteht eine Form von Automatismus, der den Kunden den Wert der Arbeit aus dem Prozess heraus ganz einfach erkennen lässt. Vergleiche ich die Arbeitsweise klassischer Agenturen damit, verstehe ich, dass diese eher als verlängerte Werkbank wahrgenommen werden und sich ihre Gegenparts auf Kundenseite auf koordinierende Aufgaben beschränkt bleiben.
Die Frage, die ich mir stelle, lautet daher, wann das Gros der Agenturen endlich das Selbstbewusstsein entwickelt, in ungünstigen Konstellationen auch einmal Nein zu sagen.
Ja, Rahmenbedingungen und Konditionen müssen „verkauft“ werden. Es besteht die Möglichkeit, einen Auftrag nicht zu erhalten. In der Summe ist es aber besser, einen Auftrag nicht zu bekommen, als sich mit lauter falschen bzw. schlecht bezahlten Aufträgen dauerhaft über Wasser halten zu müssen. Die Lösung liegt auch hier im Vertrieb: Wer rechtzeitig in ausreichendem Maße für qualifizierte Anfragen sorgt, sollte stets über die Möglichkeit verfügen, ungeeignete Aufträge einfach ablehnen zu können. Wer dann auch noch kommuniziert, was nicht passt, wird auch in seinem Qualitätsanspruch wahrgenommen. Und das tut nicht nur ihm, sondern auch der gesamten Branche gut.
Die bisherige Vorgehensweise vergleiche ich gerne mit dem Erziehungsstil der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Hier schufen engagierte Eltern durch bewusstes Nichthandeln eine Situation, in der ihre Kinder zwar ihr Ego ausbilden konnten, ihre Position in der Gesellschaft aber erst sehr spät und oft auf schmerzhafte Weise erreichen mussten. Was für eine Energieverschwendung!
Als Anbieter wertvoller und hochkomplexer Leistungen, sollten wir diese zelebrieren und entsprechend verkaufen. Darüber hinaus setzt auch die zunehmende Anforderung der kollaborativen Zusammenarbeit, ein Arbeiten auf Augenhöhe voraus. Lasst uns diese nicht aus reiner Gewohnheit, Bequemlichkeit und falsch verstandenem „Besser sein“ gänzlich verlieren.